Die Entwicklung des Güterwagenparks der DB in den 60er Jahren - Teil 1 - Die Güterwagen in den Sechzigern
In den meisten FREMO-Modulnormen wird ein Vorbild-Zeitraum von Mitte der 50er bis Anfang der 70er Jahre genannt - also Epoche 3 bis Epoche 4 a. Betrachtet man die Treffeneinladungen im Hp1, stellt man fest, dass sich der gewählte Vorbildzeitraum zunehmend in Richtung Ende Epoche 3/Anfang Epoche 4, d.h. in die Jahre 1968/69 verschiebt. Der Beweggrund scheint einleuchtend: In diesem Zeitraum können sowohl Triebfahrzeuge mit Epoche-3-Beschriftungen als auch mit Epoche-4-Beschriftungen - augenscheinlich an der 'Computernummer' erkennbar - nebeneinander eingesetzt werden, ohne einen gravierenden "Epochenbruch" zu begehen, denn bekanntlich hat die Umzeichnung der Triebfahrzeuge einen gewissen Zeitraum in Anspruch genommen.
Dasselbe gilt sinngemäß auch für den Wagenpark. War das wirklich so? Nein! Denn bei der Deutschen Bundesbahn ist in der Zeit zwischen 1960 und der Jahreswende 1968/69 wirklich Umwälzendes im Fahrzeugpark passiert, auf das wir auch beim FREMO-Betrieb achten sollten. Viele Modellbahner orientieren sich mit ihrem Epoche-3-Fahrzeugpark an der Mitte der 60er Jahre, um auch moderne Neubauwagen neben ältesten Länderbahnwagen einsetzen zu können. Dabei wird - durch die Bildauswahl in den Modellbahn-Zeitschriften und Fachbüchern, für die nur Bilder mit Epoche-3-Anschriften historisch wertvoll und 'gut' sind, untermauert. So entsteht der Eindruck, dass in diesem Zeitabschnitt fast ausschließlich die 'klassische' Epoche- 3-Beschriftung an den Güterwagen angeschrieben war. Nur bei modernen Güterwagen (z.B. dem Kds 54 Ucs oder dem Tbis-66 Klmmgks) findet man eine "Übergangsbeschriftung". Bilder von Wagen mit reiner Epoche- 4-Beschriftung vor 1980 sind leider sehr selten zu finden.
Die Güterwagenbeschriftung in den Sechzigern
Das Studium des leider nur in kleiner Stückzahl aufgelegten und lange vergriffenen Buches von Wolfgang Diener "Anstrich und Bezeichnung von Güterwagen" belehrt uns jedoch eines Besseren. Mit Beschluss des UIC vom 6. Februar 1960 (!) galten für alle Mitgliedsbahnen die internationalen Gattungsbuchstaben, z. B. "E" für offene Wagen in Regelbauart. Ein Wagen der Gattung Omm 52 wurde danach als E-52 bezeichnet. Rechts von der neuen Gattungsnummer war für einen Übergangszeitraum noch die "alte" Gattungsbezeichnung Omm angeschrieben.
Die Bundesbahn begann von diesem Zeitpunkt an, zumindest Neubauwagen nach diesen Regeln zu kennzeichnen, auch wenn der UIC-Beschluss noch im selben Jahr wieder ausgesetzt wurde. Dass sich die Umzeichnung aber nicht auf Neubauwagen beschränkte, beweist ein Bild aus S. Carstens "Güterwagen, Band 3" auf Seite 102: Es zeigt einen recht desolaten, nicht mehr international einsatzfähigen E-34 Omm im Jahre 1965.
Am 1. Juni 1964 - also mitten in der Epoche 3 b (!) - trat schließlich das auch heute noch verwendete Bezeichnungsschema für Güterwagen in Kraft, das neben den international gültigen Gattungs- und Kennbuchstaben auch eine Verschlüsselung des Wagentyps in der Wagennummer vorsah (siehe Abbildung 1). Der vor der Gattungsbezeichnung angebrachte Punkt sagte aus, dass diese Wagen bereits nach dem nun gültigen Schema beschriftet waren. Rechts neben der neuen Gattungsnummer stand noch für einen Übergangszeitraum die alte, national gültige Gattungsbezeichnung.
Die planmäßige Umzeichnung musste bei den UIC-Mitgliedsbahnen bis zum 31. Dezember 1968 - zumindest für alle international einsetzbaren Wagen - abgeschlossen sein. Man kann davon ausgehen, dass in den gesamten 60er Jahren keine Wagen ohne Umzeichnung aus einer Revision gekommen sind, abgesehen von Wagen für den reinen Binnenverkehr oder Wagen, die ohnehin zur Ausmusterung anstanden. Die bei vielen Modellbahnern verankerte Vorstellung, wonach noch Mitte der 60er Jahre der überwiegende Teil des Güterwagenparks wie in den 50er Jahren beschriftet war, und die UIC-Bezeichnungen erst schlagartig kurz vor 1970 aufgetaucht sind, kann man getrost über Bord werfen. Vielmehr waren im Jahr 1969 praktisch alle Wagen des aktiven Güterwagenbestands umgezeichnet.
Da die Umgewöhnungszeit an die neuen Gattungsbuchstaben schon 1964 begonnen hatte, verschwanden die zur Information des Personals zusätzlich angeschriebenen, alten Gattungsbezeichnungen recht schnell und sind auf Fotos von 1969/70 relativ selten.
Nicht einfach umbeschriften:
Welche Fahrzeuge waren damals gemeinsam unterwegs? Es macht in diesem Zusammenhang keinen Sinn, für vorhandene Wagen die entsprechende 'neue' Gattungs- und Wagennummer herauszusuchen und diese umzubeschriften. In Hp1, Heft 2/2002 fragte Thomas Becker: Wie viele dürfen's denn sein?? und stellte seine Thesen zur Zusammensetzung des Güterwagenparks bei Vorbild und Modell vor. Als Bezugspunkt wählt er - aus persönlichem Interesse - 'um 1960'. Wie schon weiter oben beschrieben änderte sich im Lauf der 60er Jahre nicht nur die Güterwagenbeschriftung, sondern auch der eingesetzte Wagenpark war sehr tiefgreifenden Veränderungen unterworfen.
Die Entwicklung des Güterwagenbestandes zwischen 1960 und 1968
Die Beschäftigung mit der Zeit zwischen beiden Epochen führt natürlich dazu, dass man dauernd zwischen den Epoche-3- und Epoche-4-Bezeichnungen hin- und herspringen muss. Um hier Konfusion zu vermeiden, haben wir nachfolgend die neuen UIC-Bezeichnungen verwendet und die alten, nationalen DB-Gattungsbezeichnungen grundsätzlich in eckigen Klammern angeben.
Die Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Entwicklung und die Verteilung der Bauartgruppe zum Gesamtbestand. Hervorzuheben ist die Verdreifachung des Schiebewand- und Schiebedachwagen-Bestandes. Überraschend ist der geringe Bestand an Vieh- und Kühlwagen, vergleicht man die Anzahl etwa mit der Anzahl der Arbeitswagen. Nicht verwunderlich ist hingegen die Ausmusterung der Schemelwagen, bedenkt man die besondere Behandlung dieser Gattung im Betrieb. Die Aufgaben (Langholz und Schienentransporte) konnten mit R [S/SS]-Wagen sicher ebenso bewältigt werden.
In Bezug auf die Verteilung der einzelnen Bauarten innerhalb der Gattungsgruppen lohnt sich jedoch eine genauere Betrachtung der Ereignisse, die zwischen 1960 und 1968/69 stattgefunden haben.
Gedeckte Wagen (Regelbauart)
Rund 40.000 Flachdach-Wagen G 02/G 10] wurden nicht mehr aufgearbeitet, sondern zerlegt und die gewonnenen Bauteile und Profile in an UIC-Richtlinien angelehnte bzw. vollständig den UIC-Standards entsprechenden Wagen weiter verwendet, namentlich in den Bauarten Gs 204 [Gmhs 53] und Gls 205 [Gms 54]. Das Umbau-Programm begann 1954/55. Dementsprechend sank die Zahl der Flachdach-Wagen von diesem Zeitpunkt an und hatte sich bis zum Stichtag 31.12.1960 halbiert. Um dieselbe Zahl nahm der Bestand der aus den Einzelteilen entstandenen Umbauwagen zu - eine beachtliche Leistung, die die deutsche Waggonindustrie in diesem Zeitraum vollbrachte. War der Gls 205 im Jahr 1960 mit 1,6% Anteil am Gesamtbestand aller G-Wagen noch unbedeutend an Platz 10 gelegen, nahm er nur 8 Jahre später als stückzahlmäßig am meisten verbreiteter G-Wagen (22% Anteil am G-Wagenbestand) die Spitzenposition ein.
In einer weiteren Umbauwelle entstanden ab 1959 aus Wagen der Kriegsbauart [Gmhs 35/Pwgs 44] die nach UIC-Standards gebauten Gattungen Gs 210 [Gmms 40] sowie Grs 213 [Gmms 60] und später auch komplett aus Neumaterial gebaute Grs 213, erkennbar am Stahlblechdach und fehlendem Sprengwerk. Als Spenderwagen fungierten darüber hinaus auch die Bauart Glm 200 [Gms 30] für den Gs 210 [Gmms 40] sowie [Gr 20/G 19] für den Grs 213 [Gmms 60]. Daraus wird klar, dass sich das Verhältnis von 'Altbau'-Güterwagen zu 'Umbau-/Neubauwagen' zwischen 1960 und 1968/69 gravierend verändert hat, was anhand der Tabelle unten der 10 bestandsmäßig stärksten Gattungen demonstriert werden soll.
Die Umsetzung ins Modell
Nun wollen wir uns nicht allein mit dem Vorbild beschäftigen, sondern auch überlegen, wie wir nun die veränderten Vorbildgegebenheiten ins Modell umsetzen können. Sicherlich wäre der Ansatz von Thomas Becker anwendbar: Um einen Glm(s) 202 [Gm(s) 39] mit einem Anteil am gesamten G-Wagen-Bestand von 3,5% im Jahre 1968 zu rechtfertigen, müsste man einen G-Wagenpark von 28 Modellgüterwagen haben, davon 8 Gls 205. Das erscheint noch machbar. Schwieriger wird es, die in der Rangliste folgenden Gattungen auf die Schienen zu stellen.
Ein anderer Ansatz ist, die Verteilung breiter zu fassen und auch ausländische Wagen mit einzubeziehen. Hierbei würde der Vorteil der gemeinsamen UIC-Bezeichnungen übernommen - ausländische Wagen werden gemäß ihrer UIC-Gattung den entsprechenden DB-Wagen der selben Gattung zugeordnet. So wird beispielsweise ein italienischer Gs mit 01 EUROP-Austauschkennziffer in UICAbmessungen mit 4 Lade-/Lüftungsschiebern dem entsprechenden DB-Wagen z.B. Gs 213 gleichgesetzt. Gleichzeitig wird innerhalb der DB-Wagen nicht unterschieden, ob quasi baugleiche Wagen nun aus Altteilen (aus den Umbauprogrammen) oder aus Neuteilen gebaut wurden. Es spielt für ein stimmiges Bild der zweiten Hälfte der 60er Jahre keine Rolle, ob nun ein G-Wagen mit UIC-Wagenkasten der Bauart 210, 211, 212, 213 oder 216 die Saatgutsäcke an der Ladestraße entladen bekommt. Dem Verfrachter ist es bei gleicher Ladelänge/ Ladegewicht auch egal, ob der Wagen nun 5,7 m, 5,85 m, 6,0 m oder 7,0 m Achsstand hat. Das Auftreten eines [G 02] (1962 letztes Einsatzjahr mit noch zwei Wagen) wäre für die 1960er Jahre jedoch nicht besonders typisch. Um aus der Gesamttabelle einen typischen Querschnitt für das Aussehen und die betrieblichen Belange des Güterwagenparks zu ermitteln, wurden die Wagen zu größeren Gruppen zusammengefasst. So verdichtet ergibt sich ein Bild, das man auf seinen Gesamtbestand an Modell-G-Wagen durchaus anwenden kann: 75% der Wagen hatten 1969 UIC-Abmessungen (davon 30% nur 2 Lade-/Lüftungsöffnungen). 5% waren in Sonderbauart für den Palettentransport Glms 207. Die restlichen 20% teilen sich hälftig die Flachdach- Wagen Gklm 191 [G10] und die Altbau- Tonnendachwagen.
Die Sechziger - zu eintönig?
Wer den UIC-Wagenpark nun zu eintönig findet, der sollte vielleicht doch lieber bei der Mitte der 50er- Jahre bleiben, dann aber bitte schön auch ohne Köf III, V 90, V 100, V 160, DR-V 15, DR-V 60, DR-V 100, DRV 180, DR-V200. Einfacher ist es vielleicht, sich die bei der DB fehlende Gattungsvielfalt über ausländische oder DR-Wagen zurückzuholen. Bei der DR haben sich viele Gattungen länger als bei der DB gehalten. Wer gerne gedeckte Wagen mit Bretterwänden hat, der sollte sich neben Gklm 193 [G 10] und Grs 204 [Gmhs 53] auch schweizerische und italienische UIC-Stückgutwagen zulegen. Die sind bis heute mit Bretterwänden unterwegs. Wer gerne auffällige, sich von den UIC-Wagen abhebende Bauarten wünscht: Wie wäre es mit einem schweizerischen Gklm, einem italienischen Spitzdachwagen oder einem französischen SNCF Standard A oder Standard B? Auch die bis heute anzutreffenden Speichenradsätze bei der Belgischen Staatsbahn bringen die scheinbar verlorene Vielfalt auch in die 60er Jahre zurück.
Während bei den Wagen der 50er Jahre und davor die Dokumentation ausländischer Wagen sehr dünn ist, wird es bei den in den 60er Jahren eingesetzten Wagen schon erheblich leichter, an Informationen heranzukommen. Teilweise laufen ja die Wagen heute noch bzw. sind bis vor ein paar Jahren noch international gelaufen oder sie sind heute noch im Binnenverkehr oder als Bahndienstfahrzeuge im Heimatland zu fotografieren. Das Ziel der UIC-Bemühungen, u. a. durch die einheitliche Bezeichnung und Nummerierung den zwischenstaatlichen Güterwagenaustausch zu erleichtern, können wir uns auf der Modellbahn durchaus zunutze machen.
Fahrzeuge aus derselben Zeitepoche
Der gemeinsame Einsatz von Fahrzeugen, die nach alter und nach UIC-Richtlinien beschriftet sind, birgt auch eine Gefahr. Ein flüchtiger Blick auf die Wagenbeschriftung "Aha - UIC-Nummer und kein neuer DB-Keks - folglich: Epoche 4" bringt unter Umständen Wagen zusammen, zwischen denen im Vorbild 20 bis 30 Jahre gelegen haben können. Das Problem: Die Bandbreite der Fahrzeuge und der Fahrzeugbeschriftung ist gerade in der Epoche 4 enorm. Eine UIC-Nummer am Wagen oder die Info "Epoche 4" in den Modellbahnkatalogen sagt nichts darüber aus, ob es sich um einen bei der letzten Revision umgenummerten Güterwagen von 1964 oder um einen supermodernen Neubau- Güterwagen aus der Mitte der 90er Jahre handelt, der nur noch nicht verkehrsrot lackiert ist und/oder das neue DB-Logo trägt. Während ersterer optimal ins Umfeld von Epoche-3-beschrifteten Fahrzeugen passen würde, tut das der andere sicherlich nicht.
Die große Bandbreite innerhalb der Epoche 4 resultiert daraus, dass der Übergang zwischen den Epochen 4 und 5 sehr weit nach hinten gerutscht ist. Güterwagen-technisch wäre das Jahr 1985 sinnvoll (Abschuss der neuen UIC-Bezeichnungen zum 1.1.1980), aber praktisch werden heute üblicherweise erst Modellfahrzeuge mit neuem DB-Logo bzw. verkehrroter Lackierung als Epoche-5-Fahrzeuge bezeichnet. Damit reicht die Zeitspanne der Epoche 4 über 30 Jahre - und das in einer Zeit, in der sich viel getan hat.
In der nächsten Folge werden wir weitere Wagengattungen auf ihren Einsatz in den 60er Jahren hin analysieren. Auch den Sonderweg, den die DR bei der UIC-Beschriftungen ihres Wagenparks ging, wollen wir aufzeigen.
Der Originalbeitrag wurde Veröffentlicht von Berthold Kaminski und Mathias Hellmann im FREMO Hp1 Modellbahn - 3. Quartal 2004. Für das FREMO-NET bearbeitet 12/2008 durch Rüdiger Bäcker.
Quellen:
- S. Carstens/R. Ossig, Güterwagen Band 1, W. Tümmels Verlag, Nürnberg, 1989
- S. Carstens, Die Güterwagen der DB AG, MIBA Verlag, Nürnberg, 1998
- Kreis der Wagenfreunde, Archiv Güterwagen-Bestände bei der DB, 1952 bis 1970
- W. Diener, Anstrich und Bezeichnung von Güterwagen, Verlag Dr. B. Abend, Stuttgart, 1992
- DB-Güterwagen (Kundenprospekt), DB-Werbeamt Frankfurt/Main, IV 70 140 - Stand 1. 5. 1970
- Köhler/Menzel, Güterwagen-Handbuch, Transpress, Berlin, 1966
- Köhler, Güterwagen Handbuch, 2. Auflage, Transpress, Berlin 1974
- Köhler, Güterwagen, Transpress, Berlin, 1985